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Muslimische Seelsorge in öffentlichen Institutionen

Ein zweiteiliger Aufsatz

Pfr. Jann Flütsch, Geschäftsführer EDU Kanton Zürich

1. Teil: Rückblick auf eine Medienkonferenz

Am 8. Mai 2025 fand eine Medienkonferenz zum Thema «Muslimische Seelsorge in Zürcher Spitälern» statt. Regierungsrätin Jacqueline Fehr (SP), zuständig für religiöse Angelegenheiten, erklärte, das Pilotprojekt mit muslimischen Seelsorgerinnen und Seelsorgern sei erfolgreich abgeschlossen worden. Alle Beteiligten seien sich einig, dass das Angebot definitiv eingeführt werden solle. Offen bleibe lediglich die Frage der langfristigen Finanzierung.

Bislang wurde die muslimische Seelsorge durch Beiträge der Landeskirchen finanziert – ein Vorgehen, das demokratisch kaum legitimiert ist. Nach dem Willen der Kirchenleitungen soll auch künftig Geld, das eigentlich für die Landeskirchen bestimmt ist, zur Finanzierung muslimischer Seelsorge verwendet werden. Dies, obwohl der Zürcher Kantonsrat dem Sechsjahresplan der Landeskirchen mit auffallender Skepsis begegnete. Darin ist auch die finanzielle Unterstützung muslimischer Organisationen erwähnt. Kantonsratsmitglieder quer durch alle politischen Lager lehnten diese Weitergabe kantonaler Mittel – es geht um rund zwei Millionen Franken jährlich – an nicht anerkannte Religionsgemeinschaften entschieden ab.

Eine gesetzlich verankerte Finanzierungslösung, etwa durch Schaffung einer entsprechenden gesetzlichen Grundlage, wird von Regierungsrätin Fehr gar nicht in Erwägung gezogen. Sie erwähnt sie mit keinem Wort – aus Furcht vor einem Volksentscheid?

Ein weiterer heikler Punkt wurde erst durch eine Nachfrage eines Standpunkt-Redaktors thematisiert: die demokratische Legitimation der muslimischen Seelsorgepersonen. Das kantonale Kirchengesetz – ein staatliches, nicht kirchliches Gesetz – legt fest, dass nur demokratisch gewählte Pfarrerinnen und Pfarrer Zugang zu Spitälern und Gefängnissen haben. Für muslimische Seelsorgerinnen und Seelsorger hingegen gibt es keinerlei entsprechende Regelungen. Für Regierungsrätin Fehr und die weiteren Beteiligten an der Medienkonferenz scheint Seelsorge lediglich eine Dienstleistung unter vielen zu sein, für die geeignetes Personal angestellt wird. Der Aspekt der öffentlichen Legitimation durch Volkswahl – wie sie bei reformierten Pfarrpersonen üblich ist – oder durch bischöfliche Ernennung – wie in der katholischen Kirche – wird nicht einmal von den Kirchenleitungen thematisiert.

Ein weiterer Hinweis des Standpunkt-Redaktors betrifft die historische Verwurzelung der Spitäler: Diese seien ursprünglich kirchliche Institutionen gewesen, initiiert durch christliche Nächstenliebe. Der Studienleiter hingegen entgegnet, Spitäler seien heute säkulare Einrichtungen, und der Gedanke der Krankenpflege finde sich auch in anderen Religionen. Dass die Spitäler in der Schweiz historisch durch kirchliche Initiative entstanden sind, sei zufällig und habe keine heutige Relevanz. Die Frage, ob es im Islam eine vergleichbare Figur wie Albert Schweitzer gebe oder ob sich muslimische Gemeinschaften weltweit in ähnlichem Mass für die Krankenpflege einsetzen wie christliche Organisationen, bleibt unbeantwortet.

2. Teil: Grundsätzliche Erwägungen

Die Bestrebung, Seelsorge vom Christentum zu lösen, ist nicht auf den Kanton Zürich beschränkt. Muslimische oder auch nicht-religiöse (humanistische) Seelsorge wird derzeit in vielen Bereichen eingeführt – etwa in Spitälern, Gefängnissen, Altersheimen, Ausschaffungszentren, an Flughäfen oder im Militär. Der Hintergrund ist meist, dass sich unter den betreuten Personen zunehmend Menschen befinden, die sich keiner christlichen Konfession zugehörig fühlen. Zudem verstehen sich viele Institutionen heute als religiös neutral – was Spannungen verursacht, wenn die Seelsorge weiterhin rein christlich organisiert ist. Es entsteht der Eindruck, es sei unfair, wenn nur christliche Patientinnen und Patienten seelsorgerisch betreut werden.

Tatsächlich ist Seelsorge ein bedingungsloses und vorurteilsfreies Begleiten von Menschen – etwa eines Patienten im Spital –, unabhängig von deren religiöser Zugehörigkeit. Ziel der Seelsorge ist es, durch menschliche Zuwendung Hoffnung zu vermitteln. Der christliche Glaube dient Seelsorgenden dabei oft als persönliche Ressource, muss aber nicht zwingend Gegenstand des Gesprächs sein.

Ein gelungenes Beispiel für diese Haltung ist die Armeeseelsorge. In der Schweizer Armee gibt es keine konfessionell getrennte Seelsorge – keine «christlichen» oder «muslimischen» Armeeseelsorger. Es gibt lediglich Armeeseelsorgende, die einen persönlichen religiösen Hintergrund haben können, diesen aber nicht als Vertreter einer Glaubensgemeinschaft einbringen. Sie agieren nicht als Religionsvertreter, sondern als Seelsorger.

Vor diesem Hintergrund wirken Modelle wie jenes in Zürich, das gezielt «muslimische Seelsorge» einführen will, wie ein Anachronismus. Sie beruhen auf dem Missverständnis, Seelsorge sei per se religiös gebunden – und christliche Seelsorgende könnten nur Christinnen und Christen Hoffnung vermitteln. Auch der Ruf nach «humanistischer Seelsorge» basiert auf einem Irrtum: Er setzt voraus, dass jede Weltanschauung eine eigene Form der Seelsorge brauche.

Die Geschichte des Christentums zeigt, dass sehr oft die Kirchen die Initiative ergriffen haben zur Linderung einer Not. Nebst der Gründung von Spitälern beispielsweise im Bereich der Armenfürsorge oder im Bereich der Schule.

Heute liegen diese Aufgaben – Krankenpflege, Fürsorge, Bildung – beim Staat. Das ist eine positive Entwicklung: Der Staat hat Verantwortung übernommen und die Bedeutung dieser Aufgaben erkannt. Nun wäre ein ähnlicher Schritt im Bereich der Seelsorge denkbar. Dass die Kirchen diese Aufgabe über Jahrhunderte hinweg getragen haben, bedeutet nicht, dass sie sie auf ewig allein schultern müssen. Auch Seelsorge ist eine gesellschaftliche Aufgabe – und damit eine Last, die organisiert und getragen werden muss.

Wenn der Kanton sicherstellen würde, dass professionelle Seelsorge für alle Menschen in öffentlichen Institutionen gewährleistet bleibt, spräche wenig dagegen, diese Aufgabe staatlich zu organisieren. Die Finanzierung müsste folgerichtig über öffentliche Mittel erfolgen – indirekt geschieht dies bereits heute, da der Kanton Zürich Beiträge an die Landeskirchen entrichtet, die auch für Seelsorge verwendet werden.

Die demokratische Legitimation könnte analog zu Richterwahlen erfolgen – durch öffentliche Wahlverfahren mit möglichst geringem parteipolitischem Einfluss. So hätte das Stimmvolk Mitspracherecht darüber, wer etwa in Spitälern seelsorgerisch tätig ist. Gleichzeitig könnten die Seelsorgepersonen institutionell unabhängig bleiben, ohne sich völlig in die jeweilige Institution einfügen zu müssen. Ihre Entsendung durch die öffentliche Gemeinschaft bliebe für die Besuchten spürbar.

In einem solchen Modell wäre die christliche Religion nicht mehr sichtbar – so wenig, wie sie es heute in Spitälern, Schulen oder im Sozialwesen ist. Aber gerade weil der Staat zunehmend Werte und Aufgaben übernimmt, die ursprünglich in kirchlicher Verantwortung lagen, könnte man sagen: Der Staat wird – wenn auch säkular – auf gewisse Weise christlicher.

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Zusammenfassung 1. Teil


  • Die langfristige Finanzierung muslimischer Seelsorge in Zürcher Spitälern ist unklar. Bis auf Weiteres erfolgt sie über Gelder der Landeskirchen – ein politisch höchst umstrittenes Vorgehen.
  • Eine demokratische Legitimation muslimischer Seelsorgepersonen, etwa analog zur Wahl reformierter Pfarrpersonen, ist nicht vorgesehen. Seelsorge wird als therapeutisches Angebot verstanden, für das Fachpersonal angestellt wird.
  • Der christliche Ursprung von Spitälern und die christliche Tradition der Seelsorge werden nicht mehr wahrgenommen. Seelsorge gilt als religionsunabhängige Dienstleistung.